Nachrodt-Wiblingwerde/Iserlohn. Der Nachklang der großen Bauern-Demo in Bonn ist auch in Teilen von Nachrodt-Wiblingwerde und Iserlohn nicht zu überhören: In der Nacht zu Mittwoch (23. Oktober) passieren, immer wieder laut hupend, rund 100 Trecker die Doppelgemeinde und die Waldstadt auf ihrem Rückweg von der Protestaktion im Rheinland in Richtung Münster und Osnabrück. Für den 10-jährigen Trecker-Fan Mathes aus Nachrodt ist das ein einmaliges Erlebnis.
Matthes hat Glück. Doppelt Glück. Es sind Herbstferien. Da darf der Abend für den 10-jährigen Jungen aus Nachrodt auch mal etwas länger dauern. Mit seinem kleinen Bruder, seinen Eltern und Großeltern ist der Trecker-Fan zur Kreuzung Ehrenmalstraße/Altenaer Straße (B236) geeilt. Auf LOKALSTIMME.DE haben sie kurz zuvor die Nachricht gelesen, dass der östliche Trecker-Korso nach der Großkundgebung der Landwirte in Bonn seinen Rückweg nun doch über die Doppelgemeinde und Iserlohn nehmen wird.
„Eigentlich waren wir schon fast auf dem Weg ins Bett“, berichtet Mathes Mutter Sonja Hammerschmidt – aber die Aussicht, so viele Trecker auf einmal sehen zu können, weckt die Lebensgeister und ändert spontan die Planung. Die Familie wohnt nur einige Minuten zu Fuß von der Kreuzung Ehrenmalstraße/B236 entfernt. Gegen 22 Uhr stehen Großeltern, Eltern und Enkel wartend an der Kreuzung. Und die Erwartungen der Hammerschmidts werden nicht enttäuscht.
Als erstes durchbricht ein Flackern die Dunkelheit. Das Flackern wird zum gelben Rundumlicht des ersten Traktors, der vom Holensiepen kommend die Ehrenmalstraße hinabfährt. Das Brummen von Motoren schwillt an, gibt für die nächsten neun Minuten den Takt vor. Traktor für Traktor rollt die Straße hinab und biegt auf die Bundesstraße Richtung Iserlohn ab. Sechs Kilometer ist der Konvoi lang, der über die Höhenstraße (L 692) von Lüdenscheid über Wiblingwerde die Serpentinen hinab ins Lennetal rollt.
„Sonst werden wir nicht gehört“
Mathes ist in seinem Element und hat sein Handy gezückt; es wird gefilmt und fotografiert. Motive hat er genug. Rund 100 Trecker – laut Polizei sind es 106 – defilieren an der kleinen Gruppe vorbei. Mit voller Beleuchtung, immer wieder laut hupend. „Sorry! Aber sonst werden wir nicht gehört“, steht auf einem Plakat an einem der Trecker. Die Hammerschmidts winken den Fahrern zu. „So viele Trecker auf einmal habe ich noch nie gesehen!“, strahlt Mathes, als der letzte Traktor in der Dunkelheit Richtung Iserlohn davon fährt.
Zwischen den landwirtschaftlichen Fahrzeugen: zwei Polizeimotorräder und unzählige Streifenwagen als Begleitung. Mehr als genug jedenfalls. Ein Großteil von ihnen wird an der „Ellebrecht“-Kreuzung in der Untergrüne den Korso verlassen und auf die Autobahn Richtung Ruhrgebiet abbiegen. Für sie geht es Richtung Feierabend. Für die Landwirte geht es weiter, durch die Nacht, durch Iserlohn, über Fröndenberg-Langschede und durch den Kreis Unna ins Münsterland. Und nach Osnabrück. Zwischendurch verlassen immer wieder Fahrzeuge den Konvoi und biegen in Richtung der heimischen Höfe ab.
Extrem unterschiedliche Reaktionen
Die Reaktionen in den sozialen Netzwerken auf den Trecker-Korso durch Nachrodt-Wiblingwerde und Iserlohn, etwa auf das Live-Video von LOKALSTIMME.DE auf Facebook, fallen extrem unterschiedlich aus: von Unverständnis über das laute Hupen mitten in der Nacht bis hin zu Anerkennung („Super Aktion der Landwirte“) reichen die Kommentare.
Zu den Protesten gegen die Landwirtschaftspolitik der Bundesregierung hatte das noch junge Netzwerk „Land schafft Verbindung“ aufgerufen. Die Landwirte wehren sich einerseits gegen Regelungen zum Umwelt- und Naturschutz (Gülle-Verordnung, Insektenschutz), die für sie nach eigenen Angaben mit großem Mehraufwand verbunden sind. Andererseits weisen sie auf die niedrigen Preise, die sie für Lebensmittel wie Milch und Fleisch bekommen, und steigende Importe von Lebensmittel hin. Die Landwirte sehen die Existenz ihrer Höfe bedroht.
6.000 Teilnehmer in Bonn dabei
Eine der zentralen Kundgebungen des Netzwerks fand am Dienstag (22. Oktober) mit 6.000 Teilnehmern in Bonn statt. Die Landwirte aus Nordrhein-Westfalen fuhren in zwei Konvois in die ehemalige Bundeshauptstadt: Die östliche Route führte in der Nacht zu Mittwoch die Kolonne der Trecker über den Märkischen Kreis zurück ins Münsterland und nach Osnabrück (Niedersachsen); in der Spitze besteht dieser Korso aus 220 Fahrzeugen.