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Iserlohn/Altena. Die bevorstehende Tarifrunde für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie dürfte eine schwierige Auseinandersetzung werden. Jedenfalls warnt der Märkische Arbeitgeberverband (MAV) – einer der größten in NRW – schon jetzt vor überzogenen Forderungen. Mehr als „ein moderater Abschluss“ sei nicht drin, sagt MAV-Geschäftsführer Özgür Gökce. Andernfalls sieht er „frostige Zeiten“ zwischen den Tarifpartner anbrechen. Gökce verweist auf eine drohende Rezession, die nach der jüngsten Konjunkturumfrage des Verbands bevorsteht. Die eigentliche Erklärung aber liefert Horst-Werner Maier-Hunke, Präsident des MAV und langjähriger Verhandlungsführer der Arbeitgeber.
Hellblaues Hemd, dunkle Hose, grauer Wollpulli. Keine Krawatte. „Krawatten habe ich lange genug getragen“, winkt Horst-Werner Maier-Hunke ab. Die Freiheit, bei offiziellen Terminen auf das Business-Accessoir zu verzichten, nimmt sich der 81-jährige Iserlohner Unternehmer. Und er nimmt sich die Zeit, die aktuelle Konjunktur der märkischen Region in die gesamtwirtschaftliche Lage einzuordnen. Was folgt, ist ein Grund- und Aufbaukurs in Wirtschaftswissenschaften und Wirtschaftspolitik. Eine Einordnung, die das Zeug hat, eine Lehrstunde zu sein. Und die das eigene Klientel, die Arbeitgeber, nicht vor Kritik schont.
Der rote Faden von Maier-Hunke: kausale Zusammenhänge, die Folgen von Ursache und Wirkung. Auch von globalen Ereignissen, weit weg auf der Erdkugel, die die Wirtschaft im Märkischen Sauerland beeinflussen. Etwa Chinas anscheinend unaufhaltsame Aufholjagd, wieder Wirtschaftsmacht Nr. 1 zu werden. „Die Chinesen bauen inzwischen selbst gute Maschinen“, attestiert Maier-Hunke dem Reich der Mitte. Die Folge: Die deutschen Maschinenbauer haben es schwer(er) im internationalen Wettbewerb; die Aussichten sind daher nicht rosig in der Branche.
Politisches Pulverfass Mittlerer Osten
Oder das politische Pulverfass im Mittleren Osten. Derzeit trägt der private Konsum die Konjunktur in Deutschland; die Menschen geben das Geld lieber aus, als es auf die Bank zu tragen, wo sie praktisch keine Zinsen mehr für ihr Erspartes bekommen. Was aber, „wenn Raketen aus dem Iran die saudischen Ölfelder treffen und der Ölpreis in die Höhe schnellt?“, gibt Maier-Hunke zu bedenken. Wer mehr Geld an der Zapfsäule ausgeben muss, dem sitzt an anderer Stelle das Geld nicht mehr so leicht in der Tasche. Der Iserlohner zeichnet das Bild von der iranischen Rakete, die die deutsche Konsumlaune killen könnte.
Oder der Brexit, der uns näher liegt und der näher rückt. Maier-Hunke rechnet mit einem harten Brexit. Für sein Unternehmen, den Bürobedarf-Hersteller Durable mit einem Exportanteil auf die britische Insel von „zehn Prozent“, bedeutet das, „dass 2.000 Artikel neue Zollnummern brauchen“. In anderen Unternehmen kommen da noch ganz andere Summen zusammen. Dazu die Ungewissheit über das genaue Datum. Durable hat Ende 2019, als der Brexit schon einmal drohte, „Waren in Höhe eines Vierteljahres-Umsatzes“ nach Großbritannien gebracht, um vorbereitet zu sein, falls die Zollschranken runtergehen. Eine logistische Herausforderung. Und teuer.
„Wir müssen die Unternehmer wachrütteln“
Der Ehrenpräsident der NRW-Arbeitnehmer schaut aber auch auf die eigenen Reihen. Stichwort hier: Digitalisierung. Die kann positive Auswirkungen haben. Etwa, wenn Teile der Produktion „durch Automatisierung und Digitalisierung“ von Standorten im Ausland wieder nach Deutschland geholt werden können, weil die Lohnkosten keine so große Rolle mehr spielen. Durable hat genau das vorgemacht. „Die Unternehmen, auch die kleineren, müssen sich mit der Digitalisierung beschäftigen“, mahnt der 81-Jährige an. Der Wirtschaftskapitän meint damit „die Qualifizierung, Fortbildung oder Umschulung der Mitarbeiter“. Da gebe es Nachholbedarf: „Wir müssen die Unternehmer wachrütteln.“
Pilotprojekt für besseren ÖPNV
Oder die Nachwuchsförderung. „Wir müssen um die jungen Menschen kämpfen, damit sie hier bleiben“, sagt Maier-Hunke. Denn: „Wir brauchen sie auf dem Arbeitsmarkt.“ Maier-Hunke fordert von den Kommunen einen gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr, mit dem (Ausbildungs-)Betriebe gut zu erreichen sein. Der MAV werde sich an einem Pilotprojekt im ÖPNV, voraussichtlich in Balve und Neuenrade, beteiligen, kündigte er an. Maier-Hunke setzt sich genauso für eine Integration in den Arbeitsmarkt ein. „Ohne Zuwanderung wird es nicht gehen.“ Andernfalls gingen der Wirtschaft die Arbeitskräfte aus; auch das sei ein Konjunkturrisiko.
Kritisch sieht Maier-Hunke die Entwicklung im Niedriglohnsektor, etwa bei den Paketboten. Die Entlohnung der Beschäftigten bei den Subunternehmen sei so schlecht, dass die „einen zweiten Job brauchen.“ Für den Unternehmer ein Unding. „Es ist politisch nicht tragbar, wenn ein Job nicht mehr ausreicht, um eine Familie zu ernähren“, bezieht Maier-Hunke klar Position. Und hält eine faire Entlohnung der Beschäftigten auch für ein Anliegen der Arbeitgeber: „Je mehr zufriedene Mitarbeiter wir haben, desto besser für die Unternehmen.“
Entlassungen werden wahrscheinlicher
Insgesamt sei die Märkische Region „noch gut aufgestellt“, stellt Maier-Hunke fest, die Lage und auch die Aussichten würden aber von den Unternehmern nicht mehr so positiv eingeschätzt. Die Kurzarbeit nehme zu; bisher sei Kurzarbeit „durch den Abbau von Überstunden“ kompensiert worden. MAV-Geschäftsführer Özgür Gökce ergänzt eine Zahl: „20 Prozent der Unternehmen rechnet damit, Mitarbeiter entlassen zu müssen“. Sinkende Erträge lasse weniger Spielraum für Investitionen. Immerhin: „72 Prozent der Betriebe wollen ihre Ausbildungsquote 2020 beibehalten“.
♦ Der Einschätzung des MAV liegt eine Umfrage unter den Mitgliedsunternehmen aus dem November 2019 zu Grunde. Nach MAV-Angaben haben sich 130 Unternehmen mit zusammen rund 18.000 Beschäftigten und 886 Ausbildungsplätzen daran beteiligt.