Altena. Das ganze Ausmaß der Schäden, die die massiven Überschwemmungen nach dem Dauerregen in Altena angerichtet haben, lässt sich noch nicht absehen. Nur so viel ist klar: Der Sachschaden geht in die Millionen. Mehrere Häuser in der Brachtenbecke sind derzeit unbewohnbar, fast alle Drahtwerke in der Nette und der unteren Rahmede haben Wasserschäden erlitten und selbst die Feuer- und Rettungswache in der Nette hat es erwischt. Dank Mithilfe von Feuerwehren aus Ostwestfalen sind die meisten Keller zumindest leer gepumpt und wieder viele Straßen im Stadtgebiet befahrbar – wenn auch nur mit großer Vorsicht.
Nach dem großen Regen folgt am Donnerstag (15. Juli) das große Abpumpen, Aus- und Aufräumen und da, wo es geht, Saubermachen. An einigen Stellen im Stadtgebiet ist das aber noch gar nicht möglich.
Im Brachtenbecker Weg klafft ein Krater in der Straße. „Mehrere Meter tief“, schätzt Feuerwehrchef Alexander Grass. Das Loch ist so groß, dass ein silberner Mittelklassewagen darin bequem Platz hat: Das Wasser hat das Auto mitgerissen; es liegt seitlich in der Erdöffnung. Die Straße samt Untergrund auf einer Hälfte fehlt – ein Beleg, für die unvorstellbare Naturgewalt, die das Wasser entwickelt hat. Das THW versucht mit Bigpacks – überdimensionalen Sandsäcken – ein weiteres Wegbrechen zu verhindern.
Die Wohnhäuser, auch am Grenningloher Weg oberhalb des Tals, sind teils nicht zugänglich, teils wohl auch unbewohnbar. Wer nicht bei Familie oder Freunden untergekommen ist, hat in einer Notunterkunft Platz gefunden: „Im Bergheim in Mühlenrahmede und auch in der Sauerlandhalle“, berichtet Bürgermeister Uwe Kober, der – wie Feuerwehrchef Alexander Grass – seinen Urlaub abgebrochen und nach Altena zurückgeeilt ist.
„Wie eine Kegelbahn im Keller“
In der Grabenstraße hat es viele der kleinen Häuschen im vermutlich ältesten Quartier der Burgstadt getroffen: Vollgelaufene Keller, Schlamm, Schutt, Geröll. Die Nässe ist in die Wände eingedrungen und aufgestiegen. Am Abend verteilt das Deutsche Rote Kreuz (DRK) Essen in der Nette.
Mitten drin steht im wahrsten Wortsinn das Apollo-Kino. Der Netter Bach verläuft direkt unterhalb des Hauses. „Es hat sich angehört, als hätten wir eine Kegelbahn im Keller“, beschreibt Nicole Güldner die polternde Geräuschkulisse, die der zum reißenden Strom gewordene Bach aus der Tiefe macht. Und auch auf der Straße steigt das Wasser höher und höher. „Wir haben die ganze Nacht im Foyer gesessen und gebangt, wie hoch das Wasser kommt“, erzählt Kino-Besitzerin Nicole Güldner, wie sie und ihr Team die Stunden verbracht haben. Bis an die Unterkante der Erdgeschossfenster rauschen die Fluten vorbei. Da ist der Keller des Kinos bereits vollgelaufen… Eine Woche, schätzt Nicole Güldner, brauchen sie und ihr Team für alle Aufräumarbeiten. So lange bleibt das Kino geschlossen.
Altenas ältestes Gasthaus knietief unter Wasser
Schlimmer als das Kino hat es schräg gegenüber das Gasthaus Pilling getroffen, Altenas älteste Gaststätte. Das Wasser, das die Nette herabschoss, hat das historische Haus mit voller Wucht getroffen. Das Kopfsteinpflaster vor dem Eingang ist auf- und weggespült, die schwere Holztür ist aufgedrückt, der Keller voller Wasser und Schlamm. Knietief hat das Wasser auch im Gastraum gestanden. Freunde und Familie von Gastwirt Patrick Hochstein und Nachbarn, die es weniger schlimm getroffen hat, helfen tatkräftig mit: Durch die Getränkeladeluke holen sie Eimer für Eimer nassen, schweren Schlamm aus dem Keller, sammeln die Pflastersteine auf einem Haufen zusammen.
Verzweifelt ist die Lage bei Familie Steep. Das kleine Haus, das sie bewohnen, steht an der Ecke von Bachstraße und Hinterm Bach. Küche, Wohnzimmer, Badezimmer im Erdgeschoss sind überflutet worden: Von vorne strömt das Wasser aus der Bachstraße ins Haus, von hinten der Netter Bach durchs Fenster. „Bis hierhin stand das Wasser“, sagt die Mutter von vier Kindern und hält die Hand in Brusthöhe. Die Feuerwehr hat sie um 4 Uhr in der Frühe evakuiert. Am Nachmittag, nachdem die Feuerwehr das Wasser aus dem Haus abgepumpt hat, versucht die Familie zu retten, was eigentlich nicht mehr zu retten ist: Küchenschränke, Herd, Kühlschrank, Couch, Sessel – alles ein Fall für den Müll. Einrichtungstechnisch steht die Familie vor einem Neuanfang.
Große Hilfsbereitschaft unter Freunden, Familien und Nachbarn
Wie dieser sechsköpfigen Familie ist es vielen Menschen in der Flutnacht in Altena ergangen. „Ich bin gespannt, ob die Politik, das Land oder die Stadt uns hilft, ob es eine Unterstützung gibt“, fragt sich Familie Steep. Und sie ist wahrscheinlich nicht die einzige. Einige haben mitbekommen, dass NRW-Regierungschef Armin Laschet Altena einen Kurzbesuch abgestattet hat und sich die Unwetterschäden in der Rahmede angeschaut hat. Damit hat der Ministerpräsident und Kanzlerkandidat der CDU unweigerlich Hoffnung auf direkte Hilfen vom Land geweckt.
Bei der Firma Duschking an der Lüdenscheider Straße rauscht das Wasser aus dem Hang hinter dem Gebäude immer noch über alle vier Etagen. Der Schlamm ist teils knöcheltief in allen Geschossen, dazu jede Menge Geröll. Inhaber, Mitarbeiter und Freiwillige versuchen zu bergen, was noch zu gebrauchen ist – und lassen das Wasser durch den Fahrstuhlschacht ins Erdgeschoss ab.
Was am Tag nach der Katastrophe Altena auszeichnet, ist die Hilfsbereitschaft der Menschen untereinander: Am Café Ko am Markaner helfen Nachbarn und Freunde mit beim Aus- und Aufräumen; das gleiche Bild in der Fußgängerzone in der Innenstadt. Völlig durchnässte und verschlammte Gegenstände werden aus den zuvor leer gepumpten Kellern geräumt; jeder packt mit an. Aus etlichen Hauseingängen führen noch Feuerwehrschläuche nach draußen; aus ihnen ergießt sich gurgelnd das Wasser, das die Pumpen aus den Kellern fördern. Die Altenaer Feuerwehrleute, die seit Mittwochnacht bis zur Erschöpfung im Dauereinsatz waren, haben Unterstützung bekommen: von Feuerwehren aus den Kreisen Soest, Höxter und aus Paderborn.
„Sowas habe ich noch nicht erlebt“
Vor ihrem Juwelier- und Uhrengeschäft in der Lennestraße steht Ulrike Betzler. Müde, abgekämpft. Lange hat die Geschäftsfrau, die zu den Hochwassererfahrensten in Altena gehört, in der Nacht gehofft. Allerdings vergeblich: Von der Lenneseite und aus der Stadt ist das Wasser ins Geschäft gelaufen. Die Spuren sind unübersehbar. Wie ihr, geht es fast allen Lenne-Anrainern an der Fußgängerzone.
„Sowas habe ich noch nicht erlebt…“ – Das ist der wahrscheinlich häufigste Satz, der am Donnerstag, am Tag nach den Überschwemmungen, in Altena gesagt wird und der die Fassungslosigkeit der Menschen zum Ausdruck bringt. Auch Otto Lüling, vier Jahrzehnte bis zu seinem Ruhestand hauptamtlicher Feuerwehrmann in Altena, sagt kopfschüttelnd diesen Satz. Und das will schon was heißen.