Altena. Was war das eigentlich? Eine Autorenlesung? Höchstens ein bisschen. Eine Beratungsstunde für unfallfreies Wohnen im Alter? Auch. Eine persönliche Rückschau eines ehemaligen Spitzenpolitikers? Kam auch vor. Eine Buchvorstellung? Schon, aber ganz anders, als erwartet. In jedem Fall war es munter, unterhaltsam, kurzweilig: der Abend im Festsaal der Burg Altena mit Franz Müntefering.

„Alt werden ist nichts für Feiglinge.“ So hat der ehemalige Schauspieler und Moderator „Blacky“ Fuchsberger sein Buch über das Einbiegen in den letzten Lebensabschnitt genannt. Der Titel verrät schon: keine leichte Kost. „Unterwegs. Älter werden in dieser Zeit“ heißt das Buch, das der ehemalige SPD-Bundesvorsitzende und Vizekanzler Franz Müntefering jetzt geschrieben hat. Klingt irgendwie lebensbejahender. Dem Leben nach wie vor zugewandt. Und daran ließ „Münte“, der ehemalige Bundespolitiker aus dem Sauerland, der vor wenigen Wochen 80 geworden ist, auch bei seinem Besuch auf der Burg Altena am Freitagabend (6. März) keinen Zweifel.


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Müntefering verknüpft Erfahrungen und Erlebnisse aus seinem eigenen Leben, aus der Familie wie aus der politischen Laufbahn, mit gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen. So wird der Abend ein bisschen Geschichtsstunde, ein bisschen politisches Statement, hat etwas von Lebensratgeber, lässt die Hoffnung, vor allem das Leben nicht zu kurz kommen. Dabei drängt sich Müntefering nie auf, sieht seinen Standpunkt nie als den allein richtigen.

“Wer alt werden will, muss älter werden”

Der Sauerländer bleibt auch abseits der Politik den kurzen Sätzen und klaren Aussagen treu. „Wer alt werden will, muss älter werden – sonst schafft er das nicht“, gehört dazu. Oder: „Wir sind nicht all-, aber auch nicht ohnmächtig“. Damit ruft der 80-Jährige, der die gut eineinhalb Stunden vor seinem Publikum im Stehen absolviert, dazu auf, das Leben im Alter aktiv zu gestalten, aktiv zu bleiben, aber auch Fallen aus dem Weg zu gehen und Risiken zu vermeiden – ohne sich zu verkriechen. Wenn es etwa um den Teppich in der Wohnung geht, der im Alter zur Stolperfalle werden kann, den aber dennoch kaum jemand freiwillig aussortieren will. „Ihr könnt den Teppich ja behalten. Aber dann nagelt ihn an die Wand“, rät Müntefering augenzwinkernd zum kreativen Umgang. Altlasten sollten im Alter nicht zur Last werden. Und statt „Essen auf Rädern besser auf Rädern zum Essen“, lautet sein Plädoyer gegen Einsamkeit und Vereinsamung im Alter.

Besser Altenhilfegesetz als Sterbehilfe

Der ehemalige Sozialpolitiker wirbt für Menschenwürde, für Solidarität: der Lebensälteren untereinander, aber auch generationenübergreifend. Von einem Geschäft mit der Hilfe bei der Selbsttötung für alle, die ihr Leben beenden möchten, weil es ihnen zu mühsam geworden ist, warnt der Katholik eindringlich. „Wir brauchen eine ausreichende palliative Versorgung in den Kommunen, so, wie die Kommunen auch ausreichend Kita-Plätze und Schulen vorhalten müssen“, fordert er „ein Altenhilfegesetz“, dass die Kommunen in die Pflicht nimmt und den Bund die Mittel bereitstellen lässt.

Zur Sozialdemokratie und zur SPD-Mitgliedsschaft ist er gekommen, weil der junge Franz Müntefering, der im katholischen Hochsauerland, im heutigen Arnsberg, aufwächst, beginnt, gesellschaftliche Festlegungen zu hinterfragen. „Protestanten und Katholiken können nicht zusammen zur Schule gehen“, hieß es zu seiner Schulzeit, als es noch flächendeckend Bekenntnisschulen gab. „Nachmittags haben wir aber gut zusammen Fußball gespielt“, ist die Erfahrung, die Müntefering dagegen stellt. Und warnt: „Ist es nicht häufig immer noch so, dass es die Guten gibt und die anderen?“. Eine solche Positionierung sei „hochgefährlich“ für die Demokratie.

“Die SPD ist immer noch ein toller Laden”

In der jüngeren Geschichte Deutschlands, die der Sauerländer über weite Strecken politisch mitgestaltet hat, habe die Demokratie sich, anders als in der Weimarer Zeit, gefestigt, weil es „ein Grundvertrauen zwischen den demokratischen Parteien gab“. Die SPD habe 1969 bei ihrer Regierungsübernahme die Westbindung aus der Adenauer-Ära, die die SPD eigentlich abgelehnt habe, fortgeführt. Umgekehrt habe die CDU unter Kohl nach der Wende 1982 an die Ost- und Entspannungspolitik von Willy Brandt, die sie anfangs erbittert abgelehnt hat, angeknüpft. „Demokratie ist eine Lebens- und Staatsform“, stellt Müntefering fest: „Eine Mehrheit entscheidet zwar, aber Minderheiten sind auch geschützt.“

Am Ende des munteren Vortrags, der mehr ein interessanter Plausch ist, hakt doch ein Zuhörer unter den gut 80 Gästen nach: „Warum genau sind Sie in die SPD eingetreten?“ – „Münte“ bleibt die Antwort nicht schuldig: „Die SPD hat im Januar 1933 nicht für Hitlers Ermächtigungsgesetze gestimmt“, erinnert der Sauerländer, der die SPD „immer noch für einen tollen Laden“ hält. Und prognostiziert: „Die kommt wieder hoch.“ Zumal „die andere große Partei“ ihre schwierige Phase gerade vor sich habe.

Nach gut eineinhalb Stunden signiert Müntefering, immer noch im Stehen, bereitwillig Bücher und steht für Selfies bereit. Bevor es zum Altenaer Bahnhof, und von dort mit dem Zug nach Herne geht, sitzt er noch im Burg-Restaurant. Beim Rausgehen ermuntert er die Gäste, keinen Tag zu versäumen: „Immer dran denken: Morgens nie liegen bleiben, sondern aufstehen!“ Da mag jemand das Leben. Und zwar jeden Tag aufs Neue. Auch mit 80 Jahren.

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