Altena. Als Stephan Sensen 1995 die Leitung der Museen Burg Altena übernahm, setzte er sich gegen 34 Mitbewerber durch. Seine Ideen überzeugten und heute blickt er zusammen mit seinem Team auf erfolgreiche 30 Jahre zurück.
Sensen sprach damals an, was in den Museen Burg Altena offensichtlich war: ein Sammelsurium ohne roten Faden. Genau das müsse man von Grund auf ordnen, so ging er ins Vorstellungsgespräch und wurde mit offenen Armen empfangen. Die damals Verantwortlichen legten ihm keine Steine in den Weg, im Gegenteil: Sie ließen Stephan Sensen machen.
Seit nunmehr 30 Jahren prägt Sensen die Museen auf der Burg Altena. Von Anfang an legte er großen Wert auf Teamarbeit. Und zwar auf echte. „Ein Team funktioniert nur, wenn jeder seinen eigenen Handlungsspielraum hat“, sagt er im Gespräch mit LOKALSTIMME. Genau so lebt er Führung: immer ansprechbar, offen für Ideen, unterstützend, wenn es nötig ist – aber ohne ständig einzugreifen. „Alle hier sind Meisterinnen und Meister ihres Fachs“, lobt er sein Team. Dass dieser Führungsstil trägt, bestätigte vor zehn Jahren auch die Gemeindeprüfanstalt Nordrhein-Westfalen: Sie nahm alles genau unter die Lupe und bescheinigte dem kleinen Team eine außergewöhnliche Effektivität. Der Erfolg ist messbar – mit rund 130.000 Besucherinnen und Besuchern pro Jahr stehen die Museen Burg Altena an der Spitze in Südwestfalen.

Seit nunmehr 30 Jahren führt sein Weg zur Arbeit den Berg hinauf durch die Burgtore. Und Stephan Sensen geht ihn jeden Morgen sehr gerne. Foto: Kremer
Sensens Büro liegt heute unterm Dach über dem Neuen Palais. Der Blick aus dem Fenster geht auf der einen Seite auf Burgberg und Bergfried, auf der anderen zur Nette. „Früher war das die Wohnung von Richard Schirrmann“, erzählt er. Schirrmann richtete 1912 auf Burg Altena die erste Jugendherberge der Welt ein. Bücherregale prägen heute den Raum, vollgestopft mit Fachliteratur. Wenn der 64-Jährige Stephan Sensen in den Ruhestand geht, nimmt er aber nur die Bände mit dem roten Punkt am Buchrücken mit – seine eigenen. Daneben stehen Regale mit Aktenordnern, allein elf Prüfordner für das große Burgprojekt. Sie müssen bis 2044 aufbewahrt werden. Dokumentation, Nachweise, Fördermittel: Das kostet Zeit. „Von all dem bekommen die Besucher aber nichts mit, denn sie sollen die Burg und die Atmosphäre genießen“, sagt Sensen.
Persönliches zwischen Aktenordnern und Fachliteratur
An der Wand hängt etwas, das sofort auffällt – und zugleich viel über den Menschen Sensen erzählt: eine Marionette, ein charmanter Ritter aus alten Blechdosen, mit Helm, Schild und Lanze. Gebastelt hat ihn Sensens Sohn und ihm vor 20 Jahren geschenkt. Zwischen Aktenordnern, Büchern und Denkmalpflege erinnert dieser kleine Ritter daran, dass hinter all der Professionalität auch persönliche Geschichten stehen.
Studiert hat Sensen Geschichte und Kunst in Essen – auf Lehramt, obwohl er nie Lehrer werden wollte. Erste Museumserfahrungen sammelte er im Ruhrlandmuseum, zunächst als freier Mitarbeiter in der Museumspädagogik. Nach dem Examen arbeitete er dort 1989 an der Kuratierung einer Ausstellung zum Zweiten Weltkrieg mit und begann anschließend seine Promotion über Fotografie als historische Quelle. Zwei Jahre recherchierte er, dann kam eine Anfrage, die alles veränderte: das große Ausstellungsprojekt „Feuer und Flamme – 200 Jahre Ruhrgebiet“ im Gasometer. 6.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, ein intensives Projekt mit namhaftem Direktorium, bestehend aus Gottfried Korff, Franz-Josef Brüggemeier, Ulrich Borsdorf und Jürg Steiner – und ein großer Erfolg. Seine Dissertation legte Sensen dafür erst einmal auf Eis.
Die Aufgabe reizte, die Region zunächst nicht
Im Herbst 1995 wollte er eigentlich dorthin zurückkehren. Dann sah er in der Wochenzeitung „Die Zeit“ die Anzeige des Märkischen Kreises: Museumsleiter Burg Altena gesucht. Die Aufgabe reizte ihn, die Region zunächst gar nicht. Als er mit seiner Frau zum ersten Mal nach Altena fuhr – über Lüdenscheid, die Rahmede hinunter – war ihre Reaktion eindeutig: „Hier willst du doch nicht wohnen!“ Arbeiten wollte er hier trotzdem. Wegen der Burg.
Schon Mitte 1997 präsentierte Sensen den politischen Gremien ein inhaltliches Grobkonzept für die Museen: ein klar strukturierter Rundgang, thematisch durch alle Räume. Darauf aufbauend erarbeitete ein wissenschaftliches Team bis 2000 unter seiner Leitung die detaillierten Feinkonzepte – gewissermaßen die Regieanweisungen für jede Abteilung. Für die Gestaltung gewann man das renommierte Berliner Architekturbüro Steiner. In intensiven Diskussionen wurde ausgelotet, wie Inhalte, Objekte, Architektur und Denkmalschutz zu einer schlüssigen Gesamterzählung zusammenfinden konnten. Rechtzeitig zum 125-jährigen Museumsjubiläum wurde die neu konzipierte Dauerausstellung im Sommer 2000 eröffnet. Transparente Vitrinen, gezielte Lichtführung, unterschiedliche Farbwelten – und vor allem die Rückbesinnung auf die ursprünglichen Raumeindrücke und die Regionalgeschichte prägen bis heute den Rundgang.

Der Silberschild, der zur Silberhochzeit von Gustav Selve und seiner Ehefrau angefertigt wurde, ist derzeit in einer Vitrine der Sonderausstellung zu sehen. Foto: Kremer
Ein zentraler Teil von Sensens Arbeit ist das Einwerben von Fördermitteln. „Ich habe sehr viele Millionen hier rein geholt“, sagt er nicht ohne Stolz. Mit Zahlen kann er gut umgehen – das habe er vom Vater geerbt, einem Architekten mit dem klaren Credo: „Der Bau kostet Summe X, dann kostet er das auch.“ Bevor Projekte aus dem Ruder laufen, setzt Sensen den Rotstift an. Glaubwürdigkeit ist ihm wichtig. Alles, was er realisiert hat, war korrekt – nie musste Geld zurückgezahlt werden.
Die Luisenhütte bewahrte Sensen vor dem Verfall
Dass die Burg Altena als Denkmal von nationaler Bedeutung gilt, hilft. So konnten ab 2006 die umfassenden Mauersanierungen realisiert werden, weil Stephan Sensen Fördermittel beantragte. Ebenso wie die Burg und das Deutsche Drahtmuseum liegt ihm die Luisenhütte in Balve-Wocklum am Herzen, die er ebenfalls vor dem Verfall bewahrte. Das Erlebnismuseum macht Industriekultur sinnlich erfahrbar: Wasserrad und Dampfmaschine können die Besucher selbst in Betrieb setzen, Eisenherstellung wird dort einfach nachvollziehbar gemacht. Geschichte wird begreifbar – im besten Sinne.
Konzeptarbeit macht Sensen bis heute am meisten Spaß. Legten seine Vorgänger den Schwerpunkt vor allem auf Waffen und Keramik aus vergangener Zeit, setzt er andere Akzente. Auch beim Sammeln ist er streng: Rund 90 Prozent der Objekte, die ihm angeboten werden, lehnt er ab – „weil sie nichts mit der Region zu tun haben“. Regionalgeschichte ist der Maßstab, darauf liegt der klare Fokus. Viele Gemälde sind darunter, „wir sind aber kein Kunstmuseum“, sagt Sensen. Wenn etwas wirklich zur Burg und zur Region passt, setzt er sich mit Nachdruck dafür ein. So etwa beim Silberschild, der zur Silberhochzeit von Gustav Selve und seiner Ehefrau angefertigt wurde – „das mussten wir haben“. Den Großteil der mehr als 50.000 Euro Kaufpreis besorgte Sensen über Fördermittel des Kultusministeriums NRW, die fehlenden 6.000 Euro steuerten die Freunde der Burg Altena gemeinsam mit dem regulären Ankaufsetat bei. Auch der Silberpokal des Silberschmieds Albrecht Künne aus dem Jahr 1888, der 3.500 Euro kostete, konnte dank der Unterstützung der Freunde der Burg erworben werden. Bedeutend für die Ausstellung ist zudem ein um 1900 angelegtes Fotoalbum mit in Silber getriebenem Ledereinband, gefüllt mit Ansichten verschiedener Drahtfabriken der Region – „tolle Aufnahmen“, sagt Sensen.

Sehr gut erhalten ist das um 1900 angelegte Fotoalbum mit in Silber getriebenem Ledereinband, gefüllt mit Ansichten verschiedener Drahtfabriken der Region. Foto: Kremer
Drei Jahrzehnte nach seinem Amtsantritt ist aus dem einstigen Sammelsurium ein Museum mit klarer Struktur geworden – strukturiert, inhaltlich stringent und tief in der Region verankert. Was heute auf Burg Altena gezeigt wird, folgt keinem Zufall, sondern einer Idee: Geschichte verständlich zu machen, ohne sie zu vereinfachen, und ihr den Raum zu geben, den sie verdient.
Ein Führungsstil, der Vertrauen schafft
Stephan Sensen hat dafür nie den großen Auftritt gesucht. Er hat geplant, beantragt, gerechnet, gestrichen und immer wieder neu gedacht. Dass die Museen der Burg Altena heute weit über die Region hinaus Anerkennung finden, ist Ergebnis dieser konsequenten Arbeit – und eines Führungsstils, der Vertrauen schafft und Verantwortung teilt. Wenn er aus seinem Bürofenster auf den Bergfried blickt, dann nicht mit dem Gefühl, fertig zu sein, sondern mit dem Wissen, etwas Dauerhaftes aufgebaut zu haben. Etwas, das trägt – für die Burg, für die Region und für all jene, die hier Geschichte nicht nur sehen, sondern verstehen wollen.



